9. April 1945 (II)
Es ist der Nachmittag des 9. April 1945. Hinter den Einwohnern von Schönau und Altenwenden liegt ein eineinhalbstündiger Artillerie-Beschuss durch die Amerikaner. Das Pfeifen und die Einschläge der Geschosse haben seit wenigen Minuten aufgehört. Drüben auf der anderen Seite der Albe steht das „Prinzes“ Haus in Flammen, und beim Blick in Richtung Kirche sind die Rauchsäulen von anderen in Brand geschossenen Häusern zu sehen. Brandgeruch liegt in der Luft, aufgeregte Stimmen sind zu hören. Die Bewohner der brennenden Häuser lassen das Vieh aus den Ställen und versuchen so gut als möglich Einrichtungsgegenstände vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Bei Hellers ist neben dem Haus kein vor den Flammen sicherer Platz, und so stehen viele Dinge einfach auf der Straße. Nachbarn helfen so gut sie können.
Und dann ist da ein immer näher kommendes Geräusch, lauter als alles, was man – abgesehen von den Granateinschlägen – je im Dorf gehört hat. Die amerikanischen Panzer kommen! Unter dem Schutz der „M4 Sherman“- und „M10 Wolverine“-Panzer des 740. US-Panzer-Bataillons und des 644. US-Panzerjäger-Bataillons rücken gegen 16 Uhr, von Osthelden kommend, Soldaten des 13. US-Infanterie-Regiments (Teil der 8. US-Infanterie-Division) in mindestens Kompaniestärke in Schönau und Altenwenden ein.
Es sind durchweg kampferprobte Einheiten, die man mit dem Vorstoß über das Kölsche Heck (wo man eine deutsche Widerstandslinie wähnte) in Richtung Olpe beauftragt hat. Das 13. Infanterie-Regiment hatte entscheidenden Anteil an den harten Kämpfen um Düren und Köln und war daher keineswegs zufällig mit der Eroberung von Siegen betraut worden (was alles andere als ein “Spaziergang” war). Das 740. Panzer-Bataillon war jene Einheit, die während der Winterschlacht in den Ardennen die für ihre Kriegsverbrechen (an Zivilisten und US-Soldaten) bekannte “Kampfgruppe Peiper” (benannt nach dem General der Waffen-SS Jochen Peiper) im entscheidenden Moment aufgehalten hatte. Die um Schönau und Altenwenden verbliebenen Wehrmachtsverbände waren insofern gut beraten, rechtzeitig den Rückzug anzutreten.
Und dennoch: Hier an der Kreuzung Sankt-Elisabeth-Straße / Thuwieser Straße angekommen, muss die amerikanische Kolonne anhalten, als plötzlich deutsche Granaten in der Nähe einschlagen. Nach kurzem Gegenfeuer der Panzer in Richtung Kreuzberg hört der Beschuss wieder auf.
Von „Knippes“ bis nach „Pengers“ stehen amerikanische Fahrzeuge in zwei, teilweise sogar in drei Reihen, und die Soldaten durchsuchen Haus für Haus nach Waffen und deutschen Soldaten. Nachdem sie sich vergewissert haben, dass mit Widerstand nicht mehr zurechnen ist, benehmen sich die Amerikaner ausgesprochen rücksichtsvoll. Einer der GI‘s hilft sogar bei der Bergung von Hausrat aus dem brennenden „Douben“- Haus, und statt den wie eine Sperre auf der Straße aufgetürmten Hausrat aus „Prinzes“-Haus einfach niederzuwalzen, hält der erste Panzer an, und die Besatzung räumt alles von Hand zur Seite.
Ob die Infanteristen sich genauso mitfühlend verhalten hätten, wenn sie gewusst hätten, welch grausige Bilder sie knapp vier Wochen später bei der Befreiung des Konzentrationslagers Wöbbelin zu sehen bekommen würden? So aber versorgen die amerikanischen Sanitäter auch die beim Beschuss verwundeten Zivilisten, tatkräftig unterstützt vor allem von Josefa Schönauer (“Knippes Sefa”), die ausgebildete Krankenschwester war. Überhaupt sind es in vielen Fällen gerade die Frauen (die meisten Männer waren ja im Krieg), die in den Stunden vor, während und nach dem Beschuss tun, was getan werden muss.
Nach gut zweieinhalb Stunden setzen die Panzer und der größte Teil der Soldaten ihren Vormarsch fort, nicht wie erwartet in Richtung Wenden oder über die Straße nach Elben, sondern in Richtung Vogelstange. Sie sollen an diesem Tag noch Olpe erreichen. Eine kleine Gruppe GI‘s bleibt über Nacht im Dorf und schlägt ihr Quartier in „Douben“ Scheune auf. Nur durch Zufall kommt es während der Nacht nicht zum Zusammentreffen mit einem deutschen Spähtrupp, der (von Wenden kommend) die Lage erkunden will. Tags darauf verlassen die letzten Amerikaner das Dorf.